deutschland today / 23.03.2013

Gera (anw) – Die Hausherren, sie können doch nicht weit weg sein. Jeden Augenblick werden sie an den Besucher herantreten, ihn begrüßen und platzieren. Es ist ja alles ein- und hergerichtet zum Wohnen in diesem imposanten Klinkerbau in der Straße des Friedens 120.

Nun, der historische Hausherr, Paul Schulenburg (geboren 1871 in St. Louis/US, gestorben 1937 in Gera), wird wegbleiben. Der aktuelle Eigentümer von Haus Schulenburg war und bleibt höchst präsent. Dr. Volker Kielstein und seine Gattin Prof. Rita Kielstein begrüßten am vergangenen Samstag persönlich ihre Gäste. Für das Ehepaar ein ganz großer, ein ehrenvoller 16. März 2013. Mit einer Sonderausstellung wurden die langjährigen Rekonstruktion und Sanierung eines der herausragendsten Beispiele der Wohnhausarchitektur in Thüringen feierlich abgeschlossen. 

Ein Klassiker steht in Gera – geplant von einem Klassiker. Henry van de Velde ist der Architekt. Gera, Thüringen, ja die Welt erinnert im Jahr seines 150. Geburtstages in besonderer Weise an einen großen Menschen. Nach seinen Plänen wurde 1913/1914 der Klinkerbau er- und eingerichtet, der letzte Auftrag, den der flämisch-belgische Stararchitekt (geb. 1863 in Antwerpen, gest. 1957 in Zürich) auf dem Territorium des heutigen Freistaates realisierte (Weitere Objekte sind neben seinem Weimarer Wohnhaus das Nietzschearchiv in der Klassikerstadt und die Mitarbeit am Entwurf des Ernst-Abbe-Denkmals in Jena). Der Geraer Textilfabrikant, Kunstsammler und Orchideenzüchter Schulenburg hatte das Geld, um solch ein Projekt finanzieren zu können. Und die Überzeugung, in van de Velde genau den richtigen Mann für einen außergewöhnlichen Wohnort, der Schulenburg vorschwebte, gefunden zu haben. Sowohl für das Bauwerk als auch die Innenarchitektur. Bereits 1906 hatte der Unternehmer ein von van de Velde entworfenes Schlafzimmer gekauft.

Heute nun zeigt sich Haus Schulenburg in alter Pracht, wie sie van de Velde zur tiefsten Überzeugung geronnen war: Schönheit muss sich mit Funktionalität vereinen, Individualität mit Gemeinschaftssinn. 

„1937 stirbt Paul Schulenburg. Das Haus stirbt auch“. In diesen zwei Sätzen erinnerte Volker Kielstein an das allmählich voranschreitende Drama, das das Bauwerk, 1982 vom Rat des Bezirkes Gera unter Denkmalschutz gestellt, heimsuchte. 1997 konnte er das Haus von der Stadt Gera erwerben, auch mit staatlicher Unterstützung schrittweise rekonstruieren, bis 1999 die Wiedereröffnung möglich wurde. Familie Kielstein hat ein exorbitantes Engagement aufgebracht, um das schon sehr abgestorbene Anwesen ins Leben der Stadt Gera und des Freistaates zurückzuholen. Im vergangenen Jahr erhielten sie den Thüringer Denkmalpreis. „Haus Schulenburg ist ein kultureller Höhepunkt in Thüringen und zeigt, wie lebendig das Erbe van de Veldes ist“, würdigte Landtagspräsidentin Birgit Diezel einerseits den weltberühmten Bauhaus-Künstler, andererseits die neuen Hausherren aus Magdeburg.

Die Sonderausstellung ist dem Gesamtkunstwerk van de Veldes gewidmet: Architekt, Innenarchitekt, Buchgestalter. Und stellt ausführlich die Geschichte des Hauses vor von den Bauplänen bis zur aufwändigen Wiederherstellung seit Ende der 90er Jahre. Ein ganz großes, sehr persönlich formuliertes Lob zollte der Repräsentant der flämischen Regierung in Deutschland, Walter Moens, der Familie Kirchstein für „die präzise Rekonstruktion dieses herrlichen Hauses“.

Der 150. Geburtstag van de Veldes wird im Haus Schulenburg am 3. April mit einer Matinee, die 16 Uhr beginnt, gewürdigt. Im Gespräch mit der Leiterin der Unteren Denkmalschutzbehörde, Sabine Schellenberg, sollen die Etappen der Sanierung und Rekonstruktion noch einmal aufleben. Im Anschluss führt der Hausherr die Gäste persönlich durch die Ausstellung.